kraus partner change management modell

Change Management, also Veränderungsmanagement, nervt viele Menschen – weil sie sich nach Stabilität sehnen. Denn diese vermittelt ihnen das Gefühl von Sicherheit. Doch in der von Veränderung geprägten VUKA-Welt können Unternehmen ihren Mitarbeitern die gewünschte Stabilität oft nicht bieten.

Also braucht die Beziehung Unternehmen-Mitarbeiter ein neues Fundament. Viele Menschen reagieren auf Veränderungen in ihrem beruflichen und privaten Umfeld so, als gebe es einen Nor­malzustand, in dem sich nichts verändert. Dabei ist Veränderung die einzige Konstante im Leben:

  • Menschen verändern sich,
  • Beziehungen wandeln sich,
  • Gebäude altern, Dinge gehen kaputt,
  • etwas wächst, etwas vergeht.

Kurz: Stabilität ist eine Illusion.

Trotzdem haben die meisten Menschen eine große Sehnsucht nach Stabilität. Sie ist oft so groß, dass wir die Augen zukneifen und das Leben in so kleinen Zeitabschnitten betrachten, dass wir die Veränderung nicht sehen. Eine Ursache hierfür ist: In unserem Alltag erfordert es meist wenig Energie, Dinge (scheinbar) stabil zu halten. Verändern hingegen kostet Kraft. Doch reicht das als Begründung oder Rechtfertigung für das Festhalten an der Illusion „Stabilität“? Wenn wir ehrlich sind, wissen wir: Wir machen uns etwas vor.

Wie befreien wir uns aus dem Dilemma, dass wir Menschen

  • einerseits eine tiefe Sehnsucht nach Stabilität haben, die oft in Bequemlichkeit mündet, und
  • andererseits alles im Fluss und Wandel ist?

Diese Frage beschäftigt viele Unternehmer. Denn offensichtlich hat in unserer Wirtschaft das „Alles ist im Fluss“ eine neue Dynamik gewonnen: Die Märkte verändern sich immer schneller, die technologische Entwicklung schreitet rascher voran, die Produktlebenszyklen werden stets kürzer, die Strategien haben eine immer kürzere Halbwertszeit, und …

 

Mit der „Dauerunruhe“ leben

 

Früher konnte man als Chef nach einer Reorganisation oder strategischen Neuausrichtung den Mitarbeitern (und Kapitalgebern) ein gewisse Konstanz und Sicherheit versprechen. Heute ist es oft sogar unmöglich, für ein Jahr ehrliche Prognosen abzugeben. Deshalb herrscht in zahlreichen Unternehmen eine Art Dauerunruhe-Zustand. Und viele Führungskräfte ste­cken im Dilemma, dass sie ihren Mitarbeitern nicht mehr versprechen können: „Ihr Job ist sicher“. Oder: „Unsere Strategie gilt für die nächsten Jahre.“ Zugleich fordern ihre Mitarbeiter jedoch Sicherheit und eine längerfristige Planung.

 

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Change Management und VUKA

 

Aktuell geistert durch die Management-Diskussion ein Begriff, der diesen Zustand der Dauerunruhe beschreibt: das Akronym VUKA * (siehe Erklärung). Es fasst formelhaft zusammen, dass wir in einer immer volatileren, unsichereren, komplexeren und mehrdeutigeren Welt leben. Daran besteht kein Zweifel. Doch was bedeutet das für uns Menschen? Wie gehen wir mit dieser Situation um, und wie finden wir uns in ihr zurecht?

Bei den Mitarbeitern von Unternehmen (wozu auch deren Führungskräfte zählen) erlebt man oft folgende Reaktionen.

Reaktion 1: Change-Müdigkeit. Sie zeigt sich unter anderem darin, dass Anpassungsanforderungen mit Lethargie, Fatalismus oder Zynismus kommentiert werden.

Reaktion 2: Change-Ignoranz. Manche Mitarbeiter haben gelernt, Neuerungen ein­fach auszusitzen – gemäß der Maxime: „Wenn ich mich langsam genug bewege, ist diese Welle vorbei, bevor ich etwas ändern muss.“

Reaktion 3: Aktiver Widerstand. Durch ein Festhalten an Überholtem sowie durch Endlos-Diskussionen und Stimmungsmache wird mit Zähnen und Klauen versucht, den Status quo zu erhalten.

Selbstverständlich begegnet man in den Unternehmen  auch Mitarbeitern, die sich auf Veränderungen einlassen. Doch das Gros leidet unter der Dauerunruhe und ist wenig offen für Veränderungen.

 

VUKA Welt
Ein Wort hat sich in der Managementdiskussion breit gemacht, das Akronym VUKA. Dass es auf eine so große Resonanz stößt, zeigt: Es trifft einen Nerv und fasst das Empfinden vieler Menschen zusammen: Der Begriff stammt aus dem militärischen Bereich, als Antwort auf den Zusammenbruch der UdSSR. Doch seit dem 11. September 2001 breitet sich das Empfinden aus, dass unsere Welt zunehmend unsicher, unberechenbar und mehrdeutig wird.

Das V steht für volatil (flüchtig, schwankend). Es bezieht sich auf die zunehmende Häufigkeit und Geschwindigkeit von Veränderung. Was gestern noch galt, kann heute aufgrund veränderter Rahmenbedingungen ganz anders sein.

Das U steht für unsicher. Vorhersehbarkeit und Planbarkeit lösen sich mehr und mehr auf.

Das K steht für komplex. Alles hängt zunehmend mit allem zusammen. Zahllose Verknüpfungen, Abhängigkeiten und Einflussfaktoren wollen bedacht sein. Ursache und Wirkung von Entscheidungen sind kaum mehr nachvollziehbar.

Das A steht für ambivalent (mehrdeutig).Die Zeit der Königswege ist vorbei. Statt schwarz-weiß herrschen Widersprüchlichkeiten und vielfältige Schattierungen. Sowohl-als-auch-Fakten machen Entscheidungen schwierig. VUCA nimmt zu – doch nicht in allen Lebens-, Wirtschafts- und Unternehmensbereichen gleich stark.

Wichtig ist es herauszufinden, in welchen Bereichen VUKA dominiert und in welchen nicht, und welche Interventionen deshalb zielführend sind. Es gibt durchaus Koexistenzen von Stabilität und Instabilität.

 

Agile Organisation – eine Antwort?

 

Was dagegen tun? In Management-Kreisen wird in jüngster Zeit als mögliche Lösung das Thema „agile Organisation“ diskutiert – also das Implementieren einer Unternehmenskultur, die sich der Veränderungsdynamik bewusst ist und darauf mit einer hohen Anpassungsfähigkeit antwortet. In einem solchen System, so die Hoffnung, organisieren sich die Menschen anders als bisher. Sie entscheiden schneller, tragen Verantwortung und tauschen sich aus. Doch wer sind die Träger einer solchen Kultur? Die Menschen in der Organisation und ihre Beziehungen zueinander. Also gilt es hier den Veränderungshebel anzusetzen.

Dies ist unter anderem nötig, weil in einer agilen Organisation, die weitgehend auf starre Organigramme, Bereichsgrenzen und Aufgabenbeschreibungen verzichtet, die Orientierungsanker andere als in der klassischen Top-down-Organisation sind. Und die Mitarbeiter können sich bei ihrer Arbeit weniger auf Beschlüsse in der Vergangenheit sowie Vorgaben beziehen. Sie müssen „wach“ sein und über die Fähigkeit verfügen, einzuschätzen, was gerade passiert – und hierauf sinnvoll zu reagieren. Statt Beständigkeit ist geistige Flexibilität gefragt. Statt Dienst nach Vorschrift sind Neugier und Selbstbewusstsein gefordert. Statt Stabilität findet Entwicklung statt.

Eine solche Form des Miteinanders hat Auswirkungen auf die Beziehung Unternehmen-Führung-Mitarbeiter. Wir sind im betrieblichen Kontext ein Beziehungsmodell gewohnt, in dem getroffene Vereinbarungen sozusagen dauerhaft Gültigkeit haben – seien dies Vereinbarungen bezüglich der Arbeitszeit, Entlohnung, Zuständigkeiten, Arbeitsinhalte oder Karrierepfade. Und dies wird von vielen Mitarbeitern weiterhin erwartet. Doch wie soll das funktionieren, wenn sich die Rahmenbedingungen ständig ändern? Müssen wir uns dann nicht stärker auf „agile Deals“ zwischen den Unternehmen sowie deren Führungskräften und ihren Mitarbeitern einstellen? Vermutlich!

 

Beziehungskitt: gemeinsame Werte

 

Das heißt, die Irritation der Mitarbeiter wird weiter wachsen: Worauf kann ich mich noch verlassen? Wem und auf was kann ich noch vertrauen? Und die Frage wird virulenter: Was hält das soziale System Unternehmen noch zusammen, wenn dieses zentrale Bedürfnisse seiner Mitglieder (wie die nach Sicherheit und Verlässlichkeit) nur noch bedingt erfüllen kann?

Ich bin überzeugt: Das Einzige, was Menschen und Organisationen in Zeiten extremer Verunsicherung stabilisieren kann, ist ein gemeinsames Wertesystem. Wenn die vielen Einzelnen, die dem System angehören, durch bestimmte Werte miteinander verbunden sind, gehen sie gemeinsam durch Dick und Dünn – unter anderem, weil dann die Beziehungspartner berechenbar bleiben, weshalb Vertrauen entstehen kann.

Wenn in Unternehmen die Veränderungsdynamik so groß wird, dass schriftliche Vereinbarungen das Papier nicht mehr wert sind, auf dem sie stehen, dann gewinnen die gemeinsamen Werte an Bedeutung: Sie schweißen zusammen. Und aus dem gemeinsamen Wertekanon erwächst der Zusammenhalt, den Planungen und Strategien nicht mehr schaffen können.

 

In die Unternehmenskultur eintauchen

 

Doch wie entsteht in Unternehmen eine solche gemeinsame Wertebasis?Was fördert einen entsprechenden Team-Spirit? Wie wächst das hierfür nötige Vertrauen? Die Antwort lautet: Indem das Unternehmen, die Führungsmannschaft (mit den Mitarbeitern) die Unternehmenskultur gezielt beeinflusst und prägt. Das ist keine leichte, jedoch eine spannende und lohnende Aufgabe… und eines der Kernthemen von Führung in der VUKA-Welt.

Kulturentwicklung erfordert eine Art Tiefseetauchen. Denn wenn wir von Unternehmenskultur sprechen, sprechen wir vom kollektiven Gedächtnis einer Organisation – von den Erfahrungen, aber auch Narben, die im Untergrund wirken. Sie fließen in die Haltung und das Handeln der Menschen ein. Appelle hingegen verpuffen meist wirkungslos; ebenso wie bunte Poster mit Vertrauensslogans. Kulturarbeit erfordert tiefer gehende und wirkende Interventionen, damit sich etwas Neues bilden kann.

Wenn der Change als alltägliche Herausforderung akzeptiert und gelebt werden soll, dann bedeutet das für Führung vor allem: Schnorchel an und rein in die Tiefen der das (gemeinsame) Verhalten prägenden Werte und Prinzipien. Denn erst wenn nicht mehr die Symptome, sondern der eigentliche Kern im Fokus steht, findet eine wahre Veränderung statt.

Zum Autor: Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Er ist u.a. Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.

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