Die Unsicherheiten über die weitere Entwicklung der Geldpolitik halten an. In Euroland scheint der ein oder andere Anleger Sorge zu haben, dass das Bundesverfassungsgericht den von der EZB im Juli 2012 beschlossenen Notmaßnahmen in Form unbegrenzter Staatsanleihenkäufe einen Riegel vorschiebt.
Damit ist nicht zu rechnen. Würde es der Bundesbank verboten, die Beschlüsse des EZB-Rats umsetzen, würde sie Europarecht brechen. Dieser Verfassungskonflikt ließe sich dann nur durch den Euro-Austritt Deutschlands mit der Folge der Auflösung der Eurozone in ihrer heutigen Form lösen.
Die Karlsruher Richter werden ihrer bisherigen Linie treu bleiben und mit mahnend erhobenem Zeigefinger den Aufkauf von Staatsanleihen seitens der EZB an die Entwicklung bestimmter Indikatoren – z.B. die Inflationsrate in Euroland – knüpfen. Die geschönten Inflationsraten werden dann insofern als Absolution für Aufkäufe von Schuldtiteln dienen.
Immerhin hat das Euro-Rettungsversprechen der EZB – trotz z.B. einer instabilen italienischen Regierung und einer reformrenitenten französischen Mangelwirtschaft – seit einem Jahr zu einer deutlichen Beruhigung an den euroländischen Finanzmärkten geführt. Schon das verbale Versprechen von Herrn Draghi hat für eine Normalisierung der Renditen 5-jähriger italienischer und spanischer Staatsanleihen ausgereicht, ohne dass auch nur für einen Cent Staatsanleihen gekauft worden wären. Tatsächlich ist die Bilanzsumme der EZB rückläufig.
Insbesondere aber werden die Finanzmärkte von den aktuellen Spekulationen über das „ob“, „wie“ und „wann“ einer verringerten Liquiditätsoffensive der Fed irritiert.
Grundsätzlich verträgt die US-Wirtschaft keinen signifikanten Anstieg des Zinsniveaus. Szenarien wie der abrupt eingeleitete Zinserhöhungszyklus 1994 – die Rendite 5-jähriger US-Staatsanleihen stieg binnen Jahresfrist um 3,3 Prozentpunkte an – oder der drei Jahre andauernde, konjunkturschädliche Renditeanstieg seit Ende 2003 von insgesamt 3,2 Prozentpunkten, gilt es heutzutage zu verhindern. Dies gilt umso mehr, als im Gegensatz zu 1994 bzw. 2004 noch keine breit angelegte US-Konjunkturerholung erkennbar ist. Im Gegenteil, die Frühindikatoren haben an Dynamik eingebüßt.
Insbesondere vor dem Hintergrund der lethargischen Beschäftigungslage in den USA ist an einen geldpolitischen Ausstieg immer noch nicht zu denken. Die Arbeitslosenquote ist noch weit von der seitens der Fed selbst definierten Schwelle von 6,5 Prozent entfernt, ab der sie eine restriktive Politik in Betracht zieht. Selbst bei Fortschreibung des aktuellen Trends einer sinkenden Arbeitslosenquote dürfte der Schwellenwert frühestens im Herbst 2014 erreicht werden.
Die Fed macht ihre Geldpolitik neben dem Arbeitsmarkt jedoch auch von der Entwicklung der Inflation abhängig. Beide zusammen, nicht ein Indikator allein ist maßgeblich. Aber auch seitens der Inflation droht kein geldpolitisches Ungemach. Denn der geldpolitisch relevante Schwellenwert für die Inflationsrate von maximal 2,5 Prozent ist mit einer Preissteigerung von aktuell 1,1 Prozent alles andere als in Reichweite.
Bei einer geschönten US-Inflationsrate, die das tatsächliche Preissteigerungsumfeld nicht adäquat wiedergibt, haben wir es ohnehin mit einem dehnbaren Gummiparagraphen zu tun, der es der Fed erlaubt, den Ausstiegszeitpunkt aus ihrer expansiven Geldpolitik nach eigenem Gutdünken zu bestimmen.
Für den Euro ist die derzeitige geldpolitische Unsicherheit offensichtlich weniger dramatisch. Zwar wird aktuell mehrheitlich immer noch auf einen schwächeren Euro spekuliert. Allerdings hat sich die Anzahl der spekulativen Derivatepositionen am Terminmarkt, die auf einen Wertverfall des Euros gegenüber dem US-Dollar setzen, von ihrem Hochpunkt Mitte Juni 2012 aktuell um 75 Prozent deutlich zurückgebildet. Der Wechselkurs des Euros zum US-Dollar zeigt sich mit gut 1,33 solide.
Dass die Sorgen der Finanzanleger über die weitere Entwicklung der Eurozone deutlich in den Hintergrund getreten sind, verdeutlicht auch die Stärke des Euros im Vergleich zu anderen Welt-Währungen. Diese leiden unter der Eintrübung der weltweiten Konjunkturstimmung. So hat die Weltbank zuletzt die Wachstumsprognose 2013 für die Schwellenländer von 5,5 auf 5,1 Prozent herunterrevidiert. Der Euro wertet gegenüber den großen Schwellenländer-Währungen wie dem brasilianischen Real und dem chinesischen Renminbi, aber auch gegenüber Rohstoffwährungen wie der norwegische Krone und dem australische Dollar auf.
Nicht zuletzt zeigen die Aktienmärkte der Schwellenländer das bereits aus früheren Phasen zunehmender Risikoscheu und Konjunkturunsicherheit bekannte Bild. Brasilien, China, Mexiko und Indonesien – gemessen an den jeweiligen MSCI Aktienindices in Euro gerechnet – verzeichnen Kursverluste. Auch der Vertrauensverlust in die intransparente Geldpolitik des ehemaligen Aktien-Shooting Stars Japan ist unübersehbar. Im Gegensatz dazu halten sich US-Aktien vergleichsweise stabil. An ein baldiges Ende der geldpolitischen Liquiditätsschwemme scheint man nicht wirklich zu glauben.
Vergleichsweise stabil entwickeln sich auch deutsche Aktien, die sich dennoch dem negativen internationalen Grundton nicht entziehen können.
Mit Blick auf die erhöhte Risikoaversion ist also ein grundsätzlicher Repatriierungseffekt in die etablierten Kernfinanzmärkte nicht zu leugnen. Davon sind auch die Staatsanleihemärkte der Schwellenländer betroffen. So sind seit Mitte Mai sprunghaft ansteigende Risikoaufschläge 5-jähriger brasilianischer, südafrikanischer oder auch indonesischer zu deutschen Staatsanleihen zu beobachten.
Selbst auf den euroländischen Staatsanleihemärkten zeigt sich eine stärkere Risikoscheu. Die Risikoaufschläge 2-jähriger italienischer und spanischer zu deutschen Staatstiteln legten zuletzt wieder zu. Auch die französischen Risikoaufschläge zeigen sich in der Tendenz – wenn auch nur leicht – aufwärtsgerichtet.
Am heftigsten zeigt sich die veränderte Risikowahrnehmung bei Pfandbriefen, Unternehmens- und insbesondere High Yield-Anleihen, die – gemessen an den Iboxx Euro Performance Indices – seit ihrem Kurshoch Ende Mai kräftig verloren haben.
In Amerika verdeutlichen weiter aufwärts gerichtete Baubeginne und -genehmigungen, dass der US-Immobiliensektor auch weiterhin eine wichtige Rolle als Stabilisator für die US-Gesamtwirtschaft hat. Das wird auch der Wohnungsmarktindex der US-Bauherrenvereinigung bestätigen. Zudem deutet der Einkaufsmanagerindex der Philadelphia Fed einen abnehmenden Gegenwind für die US-Industrie an, so dass die vergleichsweise langsame US-Konjunkturerholung auch von dieser Seite gestützt wird.
Die US-Wirtschaft ist aber keinesfalls so gefestigt, dass die US-Notenbank auf ihrer Zinssitzung geldpolitisch restriktive Töne verlauten lassen wird. Trotzdem dürften die Äußerungen von Fed-Chef Bernanke genauestens auf mögliche Abschwächungssignale abgeklopft werden.
In Euroland liegt der Anlegerfokus auf den vorläufigen Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe. Es ist von einer leichten Stimmungsaufhellung auszugehen. Das gilt insbesondere für Deutschland und sollte von den ZEW Konjunkturdaten unterstrichen werden
Aus charttechnischer Sicht hat sich im Rahmen der technischen Gegenreaktion beim DAX die Marke bei 8122 als solide Unterstützung erwiesen. Darunter verlaufen die nächsten Haltelinien bei 7953, 7872 und an der 200-Tage-Linie bei aktuell 7656 Punkten.
Auf der Oberseite trifft der DAX im Falle einer Erholung bei 8145 Punkten auf einen ersten Widerstand. Darüber liegen weitere Hürden bei 8250 und 8340 Punkten.
Der Autor dieses Artikels ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. www.bondboard.de