Zanny Minton Beddoes führte von Washington DC aus das globale Wirtschafts-Redaktionsteam der renommierten, englischen Wochenzeitschrift – The Economist. Sie hat mit einer Themen-Sonderausgabe “Deutschland” am 15. Juni 2013 für Aufsehen gesorgt.
Die angesehene, britische Wochenzeitschrift “The Economist” ist bekannt für ihre globale Berichterstattung aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Finanzen. Ihre Inhalte zeigen oft eine andere Sichtweise zu Mainstream-Themen. Sie hat eine wöchentliche Auflage von fast 1,5 Mio. Exemplaren und zählt zu den meistgelesenen Nachrichten-Magazinen der Welt. (Vgl. DIE ZEIT – wöchentlich insgesamt ca. 519.000 Auflage, davon gut 348.000 im Abo).
Am 15. Juni 2013 ist eine Sonderausgabe -Deutschland- mit dem Titel “The reluctant hegemon” erschienen – und führte zu vielen Diskussionen, nicht nur in Deutschland.
“A leading country that takes responsibility for the stability of an international system as a whole” – unter Hegemonie versteht man ein führendes Land, dass für die Stabilität eines wirtschaftlichen Systems Verantwortung übernimmt.
Die Autorin des Germany-Specials, Zanny Minton Beddoes, untersucht die Stärken und Schwächen des neuen deutschen Wirtschaftsmodells.
Eine Aussage ist, dass sich Deutschland aus historisch nachvollziehbaren Gründen scheut, die Federführung für Europas Reformagenda zu übernehmen und bevorzugt stattdessen, (nur) mit gutem Beispiel voranzugehen. Das Germany-Special argumentiert weiter, dass Deutschland ein verschwommenes Bild davon hat, welche Faktoren für seinen wirtschaftlichen Erfolg maßgeblich sind. Daraus leitet das Land Prioritäten ab “…die für eine erfolgreiche Transformation Europas ungenügend sind…”
Deutschland ist das größte Gläubigerland in einer Eurokrise, die den Kontinent in Schuldner und Gläubiger geteilt hat. Deutschland genießt folglich einen überproportionalen Einfluss bei Entscheidungen über die Zukunft der Einheitswährung.
Jedoch scheint sich Deutschland der führenden Rolle nicht bewusst zu sein oder will diese Rolle nicht übernehmen. Das ist eine der Kernaussagen von Zanny Minton Beddoes. Die gesamte Sonderausgabe ist hier zu lesen.
Zanny Minton Beddoes war seit 2007 in Washington als Wirtschaftsredakteurin von The Economist verantwortlich für die globale Wirtschaftsberichterstattung des Magazins. Anfang 2015 trat sie die Nachfolge von John Micklethwait als Chefredakteurin des The Economist an.
Im Mai 1998 sprach sie vor dem amerikanischen Kongress über die Einführung des Euro. 2012 wurde Minton Beddoes von der Harold Wincott Stiftung als Journalistin des Jahres ausgezeichnet. Im selben Jahr gewann sie für ihre Leitartikel zu der Euro-Krise den Gerald Loeb Award für herausragenden Wirtschafts- und Finanzjournalismus.
Minton Beddoes hat sowohl einen Bachelor-Abschluss an der Oxford University und einen Master-Abschluss von der Harvard University.
Sie hat auch deutsche Wurzeln und verbrachte immer mal wieder einige Monate im Jahr am Bodensee.
Wie sieht die Welt, vor allem die USA Deutschland…?
Deutschland wird in den USA und in anderen Europäischen Staaten nicht verstanden. Eindeutigkeit würde fehlen – eine klare Linie. Wir haben Zanny Minton Beddoes gefragt, woran dies ihrer Meinung nach liegen könnte.
Ihre spontane Meinung dazu ist:
Um das “deutsche System” zu verstehen, muss man sich die Gegebenheiten näher anschauen.
Deutschland “…sei auf einem zu hohen *Leistungsbilanzüberschuss…”, meint Minton Beddoes. “Die Deutschen stellen ihren wirtschaftlichen Erfolg ganz anders dar. Eher eine konservative Einstellung – eine schwäbische Mentalität des Sparens hat sich eingeschlichen, anders als die Lebensweise in den USA…”
*Anmerkung der Redaktion: Deutschland wurde in den letzten Jahren häufig der Vorwurf gemacht, einen zu hohen Leistungsbilanzüberschuss auf Kosten anderer EU-Staaten zu haben. Gefordert wird daher, die Deutschen sollten mehr konsumieren, anstatt zu sparen, damit das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den EU-Staaten abnehme und nicht weiter wachse. (Quelle: ZEW).
Zanny Minton Beddoes meint dazu: “Es wird – zu Hause in Deutschland – in der Tat zu wenig investiert. Es wurde beispielsweise kaum in Immobilien investiert. Deutschland hat zwar keine Immobilien-Blase, jedoch fehlt jetzt bezahlbarer Wohnraum – vor allem in den urbanen Städten die immer mehr Menschen anziehen…” Jetzt würde ein Immobilien-Boom beginnen. (Stichwort ReUrbaninisierung).
Sie macht in ihrem Blick auf Deutschland auch die Erfahrung, das sich der Lebensstandard eines Arbeiters im Prinzip seit Jahren nicht verändert hat. Grund hierfür sieht sie u.a. in den gleichbleibenden Reallöhnen. “Mehr Investitionen wären besser gewesen, aber die waren eher rückläufiger Natur…”.
Die ausgeprägte Ökonomin meint zudem, es müssen mehr private Unternehmen entstehen. Anders sei es für die Zukunft nicht gut.
Zur Frage, welche Persönlichkeit US-Bürger denn von Deutschland wahrnehmen würden, muss sie überlegen und antwortet mit einem Lächeln: “…Sie haben keine Mark Zuckerberg´s! “Aber Angela Merkel wird als wichtige Person wahrgenommen…”, setzt sie dann nach.
“Deutsche Marken – Brands – wie BMW, Mercedes oder Porsche, sind in den USA eher bekannt. Deutsche Unternehmer, die mit amerikanischen Firmen kooperieren, sind auch sehr geschätzt. Vielleicht fehlt deutschen Politikern ein bisschen Coolness…, fügt sie dann noch an.
Apropos: Was verkörpert Bundeskanzlerin Angela Merkel für Zanny Minton Beddoes?
“Persönlich ist sie angenehm, etwas zauderhaft zwar aber durchaus solide, tüchtig und anerkannt. Andererseits habe sie keine großen Visionen, führt auch nicht sonderlich als Speerspitze. Sie hat natürlich eine enorme Verantwortung in Europa, hat aber auch häufig zu viel die innerpolitische Brille auf…”
Wir bedanken uns bei einer sympathischen und inspirierenden Zanny Minton Beddoes.
(Autor/Interview: Frank Schulz)
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