Geradezu dramatisch fallende Energiepreise – vor allem beim Öl – sorgen für mehr Druck in Richtung Deflation. Für 2015 rechnet die OPEC mit der schwächsten Nachfrage nach dem von ihren Mitgliedsstaaten geförderten Öl in den letzten 12 Jahren.
Dennoch sind die OPEC-Staaten zu keiner Angebotsverknappung bereit, sondern verteidigen ihre Marktanteile gegenüber dem US-Angebot, das über die großflächige Schieferölproduktion via Fracking auf den Markt drängt.
Ein möglicher weiterer Ölpreisrückgang bis auf 60 US-Dollar pro Barrel Ende des Jahres würde im Frühjahr in der gesamten Eurozone zu einer Deflation von schätzungsweise minus 0,5 Prozent führen.
Vor einem Deflationsszenario warnte zuletzt auch EZB-Chefvolkswirt Praet. Zurzeit sind die langfristigen Inflationserwartungen in fünf Jahren für die kommenden fünf Jahre klar abwärts gerichtet und liegen bereits den vierten Monat in Folge unter dem Inflationsziel der EZB von zwei Prozent. Daher liegt der Fokus der EZB eindeutig auf der Stabilisierung der Inflationserwartungen, also im Gegensatz zu früheren geldpolitischen Doktrinen auf Preissteigerungen.
Deflation – die EZB steht mit ihrem geldpolitischen Rücken an der konjunkturellen Wand
Ein Deflationsumfeld hat nicht zuletzt negative Auswirkungen auf die Staatsschuldenfinanzierung der Euro-Länder. Denn bei weiter sinkender Inflation/sich verstärkender Deflation würde sich der Trend sinkender Realzinsen seit Ende 2013 umkehren, was die Auflegung neuer schuldenfinanzierter Konjunkturprogramme – die in Ermangelung anderer wirksamer Nachfrageelemente zur Wirtschaftsförderung leider unumgänglich sind – wieder verteuern würde.
Auch hier ergibt sich für die EZB ein Argument für Staatsanleihenaufkäufe, die sie als vorbeugende Waffen gegen Deflationierung sieht. Die EZB wird argumentieren, dass ein Deflationsszenario, wenn es sich erst einmal etabliert hat, kaum mehr zu bekämpfen ist, da die Leitzinsen und Anleiherenditen in unserem Papiergeldsystem nicht unter null fallen können, aber eigentlich müssten. Ansonsten versucht jeder Anleger möglichst viel Bargeld zu halten, was zu einem Bank Run und dann zu umfänglichen Bankeninsolvenzen führte. In diesem Szenario wäre die EZB also gezwungen, zuzusehen, wie die Realrenditen immer weiter steigen würden. Dann würde auch der Bestand an Staatsschulden durch Inflation nicht mehr gemindert, sondern über Deflation vergrößert. Die Schuldenkrise würde im wahrsten Sinne des Wortes wieder zur realen Gefahr.
Und die EZB kommt in den Genuss eines weiteren Alibis für Staatsanleihenaufkäufe. Sie muss konstatieren, dass ihre bisher ergriffenen geldpolitischen Maßnahmen auf Konjunktur und Inflation keine Wirkung zeigten. Das Zinsargument hat ohnehin schon längst ausgedient. Denn solange sich die Kreditmargen angesichts der hohen konjunkturellen Risiken bei nur schwachen Renditeaussichten der kreditierten Unternehmen weiter eintrüben, bleiben selbst niedrigste Leitzinsen eine stumpfe Waffe.
Symptomatisch für die Kreditzurückhaltung der Banken ist die kürzlich schwache Aufnahme zweckgebundener Langfristkredite der EZB. Mit 130 Mrd. Euro fällt sie zwar höher aus als im September mit gut 83 Mrd. Euro. Dennoch liegt sie am unteren Ende der Erwartungsspanne von 90 bis 250 Mrd.
Um das Ziel der EZB, die Bilanzsumme innerhalb von zwei Jahren um eine Billion Euro oder mehr auf den Stand von März 2012 auszuweiten, um damit Konjunktur und Inflation über Liquiditätsausweitungen zügig anzukurbeln, wird die EZB nicht nur ABS-Papiere, sondern auch breite Staatsanleihenaufkäufe ergreifen müssen.
Der Autor dieses Artikels ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. www.bondboard.de
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