Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stellt das laufende EZB Anleihekaufprogramm infrage und lässt vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüfen, ob es die geldpolitischen Kompetenzen der Notenbank überschreitet.
Zwei Denkschulen treffen hier aufeinander. Auf der einen Seite die EZB, die für sich in Anspruch nimmt, mit diesem Kriseninstrument die finanzpolitische Stabilität der Euro-Staaten wieder hergestellt zu haben und grundsätzlich mit billigen Kreditzinsen die Wirtschaft der Eurozone anzukurbeln.
Auf der anderen Seite steht die deutsche Position, prominent vor allem von der Deutschen Bundesbank besetzt, die urteilt, dass das Volumen der monatlichen Aufkäufe – aktuell 60 Mrd. Euro – „unverhältnismäßig“ hoch ist und deutsche Finanzverpflichtungen bei der Bundesbank in astronomische Höhen treibt. Im Übrigen handele es sich bei diesen Anleiheaufkäufen um verdeckte Staatsfinanzierungen, da den Euro-Staaten Schuldtitel abgekauft werden, ohne ihre schwache Bonität zu berücksichtigen. Tatsächlich werden die zwei elementaren Faktoren bei der Schuldaufnahme, d.h. die Zinshöhe und das Absatzproblem planwirtschaftlich verniedlicht. Und in den Genuss dieser Vorzüge kommen die Euro-Staaten, obwohl sie sich beharrlich weigern, ihre Reform-Hausaufgaben zu erledigen. Also alles wie gehabt.
Der deutschen Stabilitätsposition ist unbedingt Recht zu geben. Anleiheaufkäufe der EZB sind vergleichbar mit einem staatlichen Komplettaufkauf alter Dieselfahrzeuge zu Höchstpreisen, ohne dass die Automobilindustrie irgendeine Verantwortung trägt.
Allerdings haben die geldpolitisch so unterstützten Staaten kein Interesse an einem Ende des Anleiheaufkaufs. Übrigens, im Augenblick wird in Deutschland Wahlkampf auch mit der schwarzen Null im Bundeshaushalt gemacht. Ohne EZB wäre diese finanzpolitische Happy Hour völlig unmöglich gewesen. Berlin kann sich hier nicht mit fremden Federn schmücken.
(EZB Chef Mario Draghi)
EZB Anleihekaufprogramm – wie wird der EuGH entscheiden?
Es wäre so etwas wie das achte Weltwunder, wenn der EZB dieses Instrument zukünftig vorenthalten würde. Die Vergangenheit zeigt, dass Richter am EuGH, aber auch am BVerfG, überwiegend „staatstragend“ entschieden haben. Es werden zwar theoretische harte Bedingungen für Anleihekäufe formuliert, die sich in der Praxis aber als weich herausstellen werden. Auch Richter in stabilitätspolitischen Roben wissen, dass die finanzwirtschaftliche Stabilität der Eurozone ohne die geldpolitische Schützenhilfe der EZB nicht aufrechtzuerhalten ist.
Im Extremfall würden steigende Staatsanleiherenditen die Refinanzierbarkeit angeschlagener Euro-Staaten so erschweren, dass soziale Kollateralschäden die Folge wäre, was wiederum Wasser auf die Euro-kritische Stimmung führte. Die Stabilität der Eurozone genießt gegenüber geldpolitischer Stabilität grundsätzlich Priorität.
Neben der juristischen kommt Unterstützung pro Anleihekäufe ebenso von den Verbraucherpreisen in der Eurozone. Im Juli steigen diese im Jahresvergleich lediglich um 1,3 Prozent und verharren damit auf dem Tiefstwert von 2017. Ohnehin spricht die EZB in ihrem aktuellen Sitzungsprotokoll davon, dass Anzeichen anziehender Inflation fehlen. In diesem Zusammenhang ist es auch bemerkenswert, dass sich die EZB entgegen früheren Behauptungen zu Wechselkursen äußert. Sie zeigt sich über die jüngste Aufwertung des Euro „besorgt“ und spricht von „Überschießen“. Wenn das kein Argument ist, zins- und liquiditätspolitisch freizügig zu bleiben, um einer fortgesetzten Euro-Stärke, damit exportseitig schwächerem Wirtschaftswachstum und schließlich noch geringerer importierter Preissteigerung entgegenzuwirken.
Der Autor dieses Artikels ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. www.bondboard.de