B2B Vertrieb. Die meisten Kaufentscheidungen in größeren Unternehmen werden von einem Buying Center getroffen – also von mehreren Personen aus unterschiedlichen Bereichen, die an der Entscheidung mitwirken. Diese haben oft unterschiedliche Erwartungen an die Problemlösung. Entsprechend strategisch und taktisch klug müssen potenzielle Lieferanten agieren, um einen Auftrag zu erlangen.
Für die meisten größeren Unternehmen gilt: An ihren zentralen Kaufentscheidungen sind mehrere Personen und Bereiche beteiligt – und zwar nicht nur an der finalen Entscheidung, wer den Auftrag erhält, sondern auch an den vielen, kleinen Entscheidungen, die im Vorfeld getroffen werden, wie zum Beispiel:
- Welche Anforderungen soll die „Problemlösung“ erfüllen?
- Welche Anforderungen stellen wir an deren Lieferanten?
- Welche potenziellen Lieferanten bitten wir, ein Angebot abzugeben? Und:
- Welche Kandidaten laden wir zu einem Pitch oder einer Präsentation ein?
Diese Personen, die direkt oder indirekt an der Kaufentscheidung mitwirken, bilden das sogenannte Buying Center. Und die Herausforderung an die potenziellen Lieferanten lautet, die Entscheidungsprozesse in diesem Personenkreis so zu beeinflussen, dass ihr Unternehmen den Auftrag erhält – zu attraktiven Konditionen.
In einem Buying Center gilt es folgende Personen- und Funktionsgruppen zu unterscheiden:
- die Anwender (User), die mit der gekauften Lösung arbeiten – häufig sind dies die Mitarbeiter einer oder mehrerer Fachabteilungen,
- die Einkäufer (Buyer), die den Auftrag unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten verhandeln (und ihn gegebenenfalls erteilen),
- die (wirtschaftlichen) Entscheider (Decider), die aufgrund ihrer Position die finale Entscheidung über die Problemlösung und deren Lieferanten treffen,
- die Experten/Techniker in der Organisation (Experts), die darauf achten, dass die Lösung technisch und ablauf-organisatorisch den Anforderungen entspricht.
Diese Personen und Personengruppen haben an die Problemlösung meist unterschiedliche Erwartungen und Ansprüche. Während zum Beispiel die Anwender primär darauf achten, dass die Lösung unkompliziert zu handhaben ist, achten die Einkäufer darauf, dass diese „preis-wert“ ist. Und während zum Beispiel die Geschäftsleitung vor allem darauf schaut, dass das Unternehmen mit der Lösung seine strategischen Ziele erreicht, achten die Experten/Techniker meist primär darauf, dass diese mit den bestehenden Prozessen und der vorhandenen technischen Infrastruktur harmoniert.
Wie die Kaufentscheidungsprozesse in den Unternehmen ablaufen, hängt stark vom Charakter des Produkts beziehungsweise der Problemlösung ab. In die Beschaffung von Produkten und Problemlösungen, die eine geringe strategische Relevanz haben – wie zum Beispiel das Büromaterial – sind in größeren Unternehmen die Top-Entscheider meist nicht involviert. Anders ist es bei Problemlösungen,
- die für das Erreichen der Ziele des Unternehmens eine hohe Bedeutung haben,
- die (wie zum Beispiel eine Computeranlage) auf die spezifischen Bedürfnisse des Unternehmens abgestimmt werden müssen und
- bei deren Kauf das Unternehmen mit dem Lieferanten sozusagen eine Partnerschaft über die Lebensdauer des Systems eingeht.
In ihren Kauf sind die Top Entscheider in der Regel mehr oder minder stark involviert. Zumindest behalten sie sich das finale Entscheidungsrecht vor.
In dem Buying Center können die einzelnen Mitglieder – abhängig von der Struktur des Unternehmens, der gewünschten Problemlösung und davon, wie weit der Kaufentscheidungsprozess fortgeschritten ist – verschiedene Rollen übernehmen (siehe Grafik). So können zum Beispiel außer den involvierten Fachabteilungen auch die IT-Experten Anforderungen formulieren. Ebenso können neben den Einkäufern auch die User an der Vorauswahl der Lieferanten mitwirken. Und wenn es um die Kaufentscheidung geht? Dann hat speziell bei technischen Lösungen nicht selten eine „graue Eminenz“ im Hintergrund das Sagen, selbst wenn die Geschäftsleitung formal die Entscheidung trifft.
Die wichtigsten Fragenkomplexe, die potenzielle Lieferanten bezüglich des Buying Centers zu klären haben, sind:
- Wer sind seine Mitglieder?
- Welche Entscheidungskriterien sind für die einzelnen Mitglieder/Funktionsgruppen die wichtigsten?
- Welchen Einfluss haben die einzelnen Mitglieder/Funktionsgruppen auf die finale Kaufentscheidung?
- Wie verhalten sich die Mitglieder/Funktionsgruppen in Konfliktsituationen – zum Beispiel bei Interessengegensätzen?
Um die Kaufentscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen, benötigt der potenzielle Lieferant also eine Vielzahl von Informationen. Zum Beispiel über die Marktposition des Unternehmens und die Herausforderungen, vor denen es aktuell steht – betriebswirtschaftlich, technisch und marktbezogen. Zudem darüber, wie das Unternehmen aktuell die relevanten Probleme/Aufgaben löst; des Weiteren darüber, wie Entscheidungsprozesse in dem Unternehmen ablaufen. Doch wie diese Infos erlangen?
Manch relevante Erst-Information lässt sich durch eine Online-Recherche erlangen. Für viele andere gilt es jedoch, das firmeneigene Netzwerk zu aktivieren – zum Beispiel zu Mitbewerbern, Lieferanten oder Kunden des Unternehmens, zu denen die eigene Organisation bereits eine Beziehung hat. Zahlreiche wichtige Infos lassen sich jedoch nur im Kontakt mit Mitgliedern der Kundenorganisation ermitteln. Also gilt es diese auf den unterschiedlichsten Ebenen (zum Beispiel auf der Techniker- oder Verkäuferebene), sofern sie noch nicht existieren, aufzubauen. Neben (Berufs-)Verbänden bieten hierzu solche soziale Netzwerke wie XING und LinkedIN enorme Möglichkeiten.
Uwe Reusche: Ein Selling Team formieren
Hierfür ist es zunächst nötig, ein sogenanntes Selling Team zu bilden, das gemeinsam daran arbeitet, vom Zielkunden den gewünschten Auftrag zu erlangen. Der Aufbau solcher Selling Teams – als Pendant zum Buying Center – ist gerade im B2B-Vertrieb, bei dem oft kundenspezifische Lösungen entwickelt werden müssen, gang und gäbe, denn hieran wirken neben den eigentlichen Verkäufern häufig auch Techniker, Mitarbeiter des (Verkaufs-)Innendiensts sowie nicht selten Teile der Geschäftsleitung mit.
Eine zentrale Aufgabe des Selling Teams ist es, den
Neukundengewinnungsprozess – also die Strategie, wie der Kunde gewonnen werden soll – zu definieren. Hierfür ist es wichtig, zunächst die Ist-Situation und Bedürfnislage des Zielkunden zu erkunden. Hierbei hat sich das sogenannte TAPA-Modell bewährt.
- T = Trendanalyse: Welche Trends, Entwicklungen, kommen auf das Zielunternehmen zu?
- A = Auswirkungen: Welche Auswirkungen haben diese auf das Unternehmen?
- P = Probleme: Welche Herausforderungen ergeben sich hieraus für die Mitglieder des Buying Centers beziehungsweise ihre Funktionsbereiche?
- A = Auswirkungen: Welche negativen Auswirkungen hat es mittel- und langfristig für das Unternehmen und die Funktionsbereiche der Buying Center-Mitglieder, wenn das Problem nicht gelöst wird? Welche positiven Auswirkungen hat es, wenn das Unternehmen die Herausforderungen meistert?
Die TAPA-Analyse ist für die Hypothesenbildung wichtig, wie der Zielkunde zur gewünschten Kaufentscheidung geführt werden kann. Und die Ergebnisse der Analyse? Sie können unmittelbar in das letztlich erstellte Angebot oder die firmeninterne Präsentation einfließen – zum Beispiel in folgender Form:
Unsere Hypothesen:
- Wir sehen folgenden großen Treiber in Ihrem Markt: ….
- Wir vermuten diese haben folgende Auswirkung: ….
- Wir denken, dass sich hieraus für Ihr Gesamtunternehmen sowie die Bereiche A, B und C folgende Herausforderungen ergeben, die Sie bei Ihrer Kaufentscheidung beachten sollten: ….
Unser Lösungsvorschlag:
- Deshalb empfehlen wir Ihnen: ….“
Durch einen solchen Aufbau des Angebots oder der Präsentation wird erreicht:
- Der Zielkunde schreibt dem Anbieter eine hohe Branchen-/Marktkompetenz zu.
- Die Mitglieder des Buying Centers sehen sich gewürdigt und verstanden. Und:
- Es ergeben sich Cross Selling-Ansätze zum Beispiel im Beratungs- und Servicebereich.
Beim Erstellen des Angebots gilt es die Kundenanforderungen und -wünsche mit den Leistungen des eigenen Unternehmens in Verbindung zu bringen – das heißt, letztere so zu präsentieren, dass für die Mitglieder des Buying Centers der Mehrwert des Angebots gegenüber Konkurrenz-Angeboten erkennbar wird. Zudem gilt es, das Angebot – zum Beispiel durch eine entsprechende Storyline – so zu gestalten, dass für die Mitglieder des Buying Centers auch emotional erfahrbar wird: Das ist kein O8/15-Angebot, sondern eine maßgeschneiderte Problemlösung für uns.
Steht das Angebot oder die Präsentation gilt es zu entschieden, welche Mitglieder des Selling Teams in die firmeninterne Präsentation oder den Pitch gehen. Diese Entscheidung sollten Unternehmen davon abhängig treffen,
- wie sicher die Mitglieder des Selling Teams im Präsentieren sind,
- wer die Hauptentscheider im Buying Team sind und
- welchen Eindruck das Unternehmen primär hinterlassen möchte (zum Beispiel: „Wir sind ein innovatives Unternehmen“ oder „Wir sind ein etabliertes Unternehmen, dem Sie vertrauen können“.)
Auch die Personen im Selling Team, die schon enge, persönliche Kontakte zu Mitgliedern des Buying Centers haben, sollten in der Regel bei der Präsentation beziehungsweise dem Pitch anwesend sein.
Wichtig ist vor dem Auftritt in der Kundenorganisation auch ein Pitch- oder Präsentationstraining, bei dem die Teammitglieder in den verschiedenen Rollen im Buying Center schlüpfen – zum Beispiel in die Rolle der Einkäufer oder der Geschäftsleitung.
Trainiert werden sollten mit Rollenspielen unter anderem folgende Phasen sowie Herausforderungen im Pitch oder in der Präsentation:
- Die Begrüßungsphase
- Start – Wie gewinnen wir schnell die Aufmerksamkeit?
- Gestalten der Kennlernrunde – Wie schaffen wir ein perfektes Match mit dem Gegenüber schon in der Vorstellungsrunde?
- Wer sagt was für welches Buying Center-Mitglied?
- Die Präsentationsphase
- Festgelegt werden sollte, wer welchen Part präsentiert. Erörtert werden sollte auch, welchen Typ auf der Kundenseite die jeweilige Person abholen soll – damit Rollenklarheit besteht.
- Die Argumentationsphase
- In der Rolle des Kunden fallen den Teammitgliedern meist viele Einwände, Bedenken und Rückfragen ein. Diese gilt es zunächst zu sammeln, um dann zu überlegen, wie man sie abfedern kann.
- Abrunden
- Geklärt werden sollte auch, wie das Team für das „We want you“-Gefühl beim Kunden sorgt, so dass er das Gefühl hat: „Wir sind begehrt! Der Anbieter bemüht sich um uns.“
Wichtig ist es zudem, vor dem Pitch oder der Präsentation genau zu definieren:
- Welches (Etapen-)Ziel können wir erreichen? Und:
- Welches (Etappen-)Ziel wollen wir erreichen?
Denn gerade für den Projektverkauf und Verkauf komplexer Produkte/Dienstleistungen im B2B-Bereich gilt: Die Problemlösungen haben für den Kunden in der Regel nicht nur eine hohe strategische Relevanz, sondern sie sind auch „costumized“. Deshalb fällt die Kaufentscheidung selten beim oder nach dem ersten Treffen. Vielmehr treffen sich, nachdem die Kundenorganisation eine Vorentscheidung für einen Lieferanten traf, zum Beispiel die Experten auf der Anbieter- und der Kundenseite und erarbeiten gemeinsam die Detailanforderungen an die Lösung oder diese selbst. Diese Vorschläge werden dann erneut dem Buying Center präsentiert, bevor schließlich die konkrete Auftragserteilung erfolgt.
Uwe Reusche ist einer der beiden Geschäftsführer des ifsm Institut für Sales & Managementberatung, Urbar bei Koblenz, das unter anderem zertifizierte Sales Coachs ausbildet.